Was ist Healing Architecture?
Die letzten Jahre haben unser Leben in vielen Bereichen verändert. Themen, die vorher verschoben oder vernachlässigt wurden, sind nun in den Fokus gerückt. Eines dieser Themen ist unsere Gesundheit. Hierbei ist uns klar geworden, wie fragil sie ist und dass wir ihr oft zu wenig Beachtung schenken. Abläufe wurden auf die Probe gestellt. Fachkräfte wurden an ihr Limit gebracht. Räumliche Engpässe sind ins Auge gefallen. Zeit also, dass wir Gesundheit neu denken und Visionen für das Gesundheitswesen der Zukunft Wirklichkeit werden lassen.
Erfahren Sie hier:
Wie können Räume unser Wohlbefinden beeinflussen?
Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in die Vergangenheit und die damals gebauten Sanatorien oder Heilanstalten. Diese Gebäude befanden sich meist in großen Parkanlagen, boten den Patienten auf großen Terrassen viel Zeit an der frischen Luft mit ruhigem Ausblicken und ließen viel Licht durch hohe Decken und Fenster in die Patientenzimmer. Die Hospitäler bezogen sich wörtlich auf „Hospitality", also Gastfreundschaft, und stellten den Patienten in den Fokus. Heute stehen in unseren Krankenhäusern die Krankheiten im Mittelpunkt.
Krankenhausarchitektur hat Einfluss auf Patienten
Heute scheint etwas verloren gegangen zu sein, was früher ganz selbstverständlich war. Dabei ist das alte Normal auch heute noch erstrebenswert. In einer Studie untersuchte Prof. Dr. Tanja C. Vollmer (Architekturpsychologin), wie sich die Umgebung von Krankenhäusern auf Krebskranke auswirkt. Dafür begleitete die Expertin 500 Patienten bei ihren Krankenhausaufenthalten und befragt sie nach ihrer Wahrnehmung und ihrem Stressempfinden. Das Ergebnis: Kranke nehmen beispielsweise optische Reize und Design anders wahr als gesunde Menschen. Eine triste Umgebung, wenig Tageslicht oder enge Räume werden hier zu Stressoren, die zu einer ohnehin schwierigen Gemütslage hinzukommen.
Krankenhausarchitektur hat Einfluss auf Patienten
Das Wohlbefinden und die Wahrnehmung im Raum sind bei Kranken sensibler. Reizempfinden sowie das Bedürfnis nach Geborgenheit und Rückzug sind erhöht. Die Raumgestaltung muss also bei der Krankenhausplanung auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtet werden. Das beinhaltet beispielsweise Wünsche nach Platz für Begleitpersonen, Aufenthaltsmöglichkeiten im Grünen aber auch Ruhe- und Rückzugsbereiche an besonders schlechten Tagen.
Bei der Euregio Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde das in aller Konsequenz umgesetzt: Um den Bedürfnissen nach Bewegung, aber auch Geborgenheit der Kinder Rechnung zu tragen, wurden die Behandlungszimmer im Naturthema beispielsweise mit Baumhäusern oder Bauwagen ausgestattet. Ein Konzept, das funktioniert: Die Kinder sind enthemmter und fühlen sich sicherer bei der Therapie. Schnellere Erfolge werden erzielt.
Healing Architecture fördert Gesundheit
Das bedeutet: Architektur hat einen Einfluss auf unser Wohlbefinden und kann sich demnach auch positiv auf unsere Genesung auswirken. Roger Ulrich wies dies bereits 1984 in seiner Studie nach. Er verglich zwei Gruppen von Patienten, die im Krankenhaus nach identischen Operationen durch ihre Zimmerfenster entweder auf einen Park mit Bäumen oder auf die Betonmauer des Nachbargebäudes sehen konnten. Patienten mit Parkblick benötigten deutlich weniger Schmerzmittel, litten seltener an Depressionen und konnten im Durchschnitt einen Tag früher nach Hause entlassen werden als Patienten der Vergleichsgruppe.
Grün, bzw. ein Naturbezug, haben einen positiven Effekt auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Unter dem Deckmantel des Biophilic Design lässt dieser Architekturtrend die Natur in die Gebäude einziehen. Mit erstaunlichen Auswirkungen: Zimmerpflanzen tragen dazu bei, den Kohlendioxidgehalt in Innenräumen zu senken und den Sauerstoffgehalt zu erhöhen. Mehr Sauerstoff bedeutet eine Verbesserung für unsere Gehirnfunktionen und macht uns bei alltäglichen Aufgaben effizienter. Zudem erhöhen Pflanzen die relative Luftfeuchtigkeit und filtern Schadstoffe aus der Luft. Damit senkt die saubere Luft auch die Virusübertragungsrate.
Ein weiterer Aspekt des Biophilic Design ist die Tageslichtzufuhr. Nehmen wir Lichtreize mit unseren Augen wahr, wird ein Hirngebiet angeregt, in dem verschiedene Botenstoffe produziert werden: das Glückshormon Serotonin, Noradrenalin, welches wir für Konzentration benötigen, und Dopamin, welches für unsere Motivation sorgt. Diese drei Botenstoffe sind auch alle Bestandteile von Antidepressiva. Daher ist nicht zu unterschätzen, welchen Einfluss eine natürliche Beleuchtung auf unser Wohlbefinden hat.
Des Weiteren steuert Licht den 24-Stunden-Rhythmus in unserem Körper und damit den Aktiv- bzw. Ruhemodus für unsere Organe. Das kurzwellige Licht des Sonnenaufgangs lässt uns aktiver und leistungsfähiger werden, während das warme Licht des Abends unseren Körper langsam herunterfährt und auf die Nacht vorbereitet. Diesen Rhythmus kann man mit „Human Centric Lighting" in Innenräumen nachempfinden, indem sich die Lichttemperatur des künstlichen Lichts an das Tageslicht anpasst.
Healing Architecture – der Raum als Therapeut
Healing Architecture geht weit über das Biophilic Design hinaus. Es ist ein ganzheitlich gedachtes System, welches den Menschen mit all seinen Sinnen betrachtet und positive Wechselwirkungen zwischen der umgebenden Architektur und den biochemischen Prozessen im Körper betrachtet. Neben dem Einbezug von Natur und Tageslicht werden weitere räumliche Aspekte wie die Haptik der Oberflächen, die Akustik, Farben und Gerüche betrachtet.
Der typische Krankenhausgeruch beispielsweise löst bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl aus, was im Körper unterbewusst Stress verursacht. Bestimmte Düfte können dafür sorgen, dass unangenehme und negativ notierte Gerüche unterdrückt und nicht mehr wahrgenommen werden. Dies kommt auch Fachkräften zugute, die in Bereichen arbeiten, wo eine enorme Duftbelastung vorliegt – beispielsweise im OP. Andere Gerüche können den Blutdruck senken und zur Erholung beitragen.
Healing Architecture unterstützt Personal durch Entschleunigung
Das Bedürfnis derer zu berücksichtigen, die sich in den Krankenhäusern, Kliniken und MVZs aufhalten, betrifft jedoch nicht nur die Patienten: Krankenhausplanung neu zu denken und Innenarchitektur sowie Architektur als Faktoren zu berücksichtigen, spielt auch für die Bindung von Fachpersonal eine Rolle. Heilende Architektur bezieht sich in dem Fall auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und stressreduzierende Momente.
Erreicht wird das zum Beispiel durch akustisch wirksame Elemente, die auditiven Stress reduzieren, oder eine klarere Zonierung verschiedener Nutzungsbereiche. So sollte beispielsweise ein Pausenraum ein Ort der Ruhe und Entspannung sein, der die permanente Ansprechbarkeit reduziert. Denn nur wenn das Fachpersonal die Möglichkeit bekommt, die hohe Arbeitsbelastung auszugleichen, kann es langfristig zufrieden bei der Arbeit sein und gebunden werden.
Healing Architecture steigert positive Wahrnehmung
Und zufriedene Mitarbeiter sind wichtig: Denn Fachkräfte, die tagtäglich direkt am Patienten arbeiten, prägen den Eindruck der Gesundheitseinrichtung. Sie tragen dazu bei, dass ein Aufenthalt als positiv empfunden und weiterempfohlen wird. Das hat wiederum einen direkten wirtschaftlichen Einfluss. Und so ist es Kliniken wie Praxen daran gelegen, gutes Fachpersonal zu finden, das als positives Aushängeschild funktioniert. Diese anzuziehen und zu halten, ihnen Raum zu geben, ihr volles Potential zu entfalten, und ihre Zufriedenheit zu stärken ist eine Aufgabe, bei der Healing Architecture unterstützt.
Autorin: Charleen Grigo | Head of Healing Architecture